Samstag, 12. Juli 2014

Flotter Kahn

Lange hing dieser Blog im Trockendock. Jetzt schwimmt er wieder. Und nimmt Kurs auf dem Neckar.
Es ist zu viel passiert in den vergangenen zwanzig Monaten. Und es passiert grad noch viel mehr. Und was darüber hinaus passieren wird ist zwar zu befürchten, aber nicht abzusehen.
Also sind der Kaleun samt Steuermann und Bootsmann wieder auf der Brücke. Die Maschinen sind überholt, und auch das Bordpersonal ist frisch eingekleidet und guter Dinge.

 Der Kahn schiebt wieder mit Volllast.

Auf ein Neues!

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Donnerstag, 30. August 2012

Im Seelen-Knast

Vor Tagen ist in unserem Stadtteil Nürtingen-Roßdorf ein Mann gestorben, der viele Jahre lang als Sonderling mitten im Zentrum gewohnt hat. Ein hochintelligenter Mann, vor vielen Jahren Ingenieur in einer Fabrik, jedoch nicht mehr arbeitsfähig, weil er psychisch krank war. Sein Leben bestand aus langen Gängen in die Stadt und zurück, stets eine Dose Bier vor dem Gesicht und bei Sitzpausen immer mit Zigarette. Er war versorgt, betreut und galt als ein Original. Ging ihm das Geld aus, das ihm vom Vormund portioniert wurde, hat er geschnorrt wie ein bettelndes Kind. Seine aggressiven Ausfälle von früher haben sich im Alter gelegt.

Die Kinder vom benachbarten Kindergarten kannten den Mann und hatten Platz für ihn in ihren Fantasien und Rollenspielen. Sie hatten ein Spiel erfunden, das ganz schlicht "Nagel" hieß, denn genau so hieß der Mann: Dietrich Nagel, den alle nur "den Nagel nannten". Manche meinen, es sei kein Fehler, dass "der Nagel" nun "weg ist". Ein Mensch, behandelt wie ein von der Müllabfuhr vergessener Gelber Sack. Dabei hat mindestens jeder zweite von uns, wenn nicht gar alle, seine eigene persönliche Macke. Zum Glück nicht so gravierend wie bei Herrn Nagel, den seine Macke aus diesem Spiel namens Alltag genommen hat, in dem jeder seine nicht immer frei gewählte Rolle zu spielen hat.

Mitten in unserem Lädle ist Herr Nagel umgefallen. Magendurchbruch, Notarzt, Krankenhaus, rascher Tod. Sein Körper dürfte keinen Widerstand mehr gehabt haben.

Für unsere Stadtteilzeitung habe ich einen Nachruf konzipiert, den ich auf Bitten hier vorab veröffentliche.


Kürzlich saß er auf der Bank an der Streuobstwiese am Roßdorfweg. Die Beine lässig übereinander geschlagen wie beim Smalltalk, im Konzern, auf der Entscheider-Ebene. Seine weit übers Gesicht gezogene Kapuze verscheuchte meine Fantasie. Es war klar, wer da sitzt. So sehe ich im Gehege die kleine Schildkröte und registriere: Ah, da ist sie ja! Und gleich beim Gasgeben, nach dem Bahnübergang vom Täleszügle, wenn das Auto den Roßdorfweg hinauf Anlauf nimmt, hebt der Mann seine Bierdose, die er praktischerweise immer direkt unter dem Kinn trug, zum Mund, und nimmt den nächsten Schluck. Einen von vielen Tausend. Oder Zehntausend. So wie Millionen auf dieser Welt, ohne dass sie als krank gelten.
Dietrich Nagel war krank. Krank zuerst in der Seele, dann im Leib. Nicht weil er gesoffen hat: Er hat gesoffen, weil er krank war! Und auch in dieser Sekunde ging mir durch den Kopf, wann er wohl seinen letzten Schluck nehmen würde?
Tage später sah ich ihn beim Bäcker sitzen, Zigarette rauchend, den Pappbecher mit Kaffee vor sich am Tischchen. Ein Gentleman der Gebärden - mein Vater konnte ähnlich stilvoll seine Zigaretten als Rauchopfer darbringen - und ich ahnte nicht, dass dies einer der letzten Schlucke des Mannes sein sollte, den im Roßdorf viele nur „den Nagel“ zu nennen sich herausnahmen. Wenige Tage später ist dieser einsame Heilige Gottes im Lädle umgefallen. Und wenig später war er tot. „Weißt du schon“, sagte meine Frau, „Herr Nagel ist gestorben“, und ich dachte, selten hat man einen so erwartet zügig gehen sehen.
Sie, liebe Leser, wundern oder entrüsten sich, dass ich vom Heiligen Gottes rede. Ich will es erklären. Manche Menschen sagen, dies oder jenes hat mir Gott auferlegt. Das bedeutet: Auf mich drauf gelegt, oben, eine unerwünschte Beschwer, etwas Untragbares. Oft genug sehen wir das moralisch, und wir konstruieren uns eine Verpflichtung, das Unerträgliche tragen zu sollen. Und wir wissen alle, wie das schwer zu Tragende aussieht, welche Namen es haben kann. Es heißt Oma Muss Ins Pflegeheim, es heißt Unser Kind Ist Behindert, es heißt Ich Liebe Meinen Mann Nicht Mehr, es heißt Ich Saufe Weil ich Angst Habe samt der Kehrseite Ich Habe Angst Weil Ich Saufe. An dieser Angst litt nicht nur Dietrich Nagel bis in den Tod. An solchen Ängsten nagen wir alle, an kleinen und an gespenstisch großen. Auch wenn wir uns vorübergehend haben einrichten können in der Welt und in dem Bild von uns, das wir im Spiegel sehen, um anschließend Pickel und Falten zu kaschieren.
In der christlichen Überlieferung gibt es das Bild vom Kreuz Auf Sich Nehmen, vom Kreuz Tragen. Dietrich Nagel hat sein Kreuz öffentlich getragen. Früher auffällig, im Alter eher unauffällig. Er wurde ganz sacht zum Wrack, hat seine Rolle, die er sich beileibe nicht ausgesucht hat, dieses Leiden an sich selber, am Missverhältnis zwischen Entwurf und Ausführung, täglich auf die Bühne gebracht. So sehe ich ihn, in seinem Seelen-Knast.
Wenn wir auch nur ein wenig glauben, dass Gott für jeden von uns ein Konzept hat (und mir fällt das oft bis zur Unerträglichkeit schwer), dann hat er den Dietrich Nagel für das auserwählt, was der bis zum Umfallen hat repräsentieren müssen: Ein versoffener Sonderling, der obszöne Reden führt, ein pöbelnder Tagedieb, selten zu freundlicheren Dialogen bereit, einer, dessen Leben scheinbar still steht.

Dieses Auswählen, das Bestimmen und Festlegen einer Rolle, einer Aufgabe, wird im Lateinischen durch das Wort Sanctus bezeichnet. Das wird gewöhnlich mit Heilig übersetzt, heißt aber ursprünglich festgesetzt. Wir kennen das von Sanktionen. Wer nun glaubt, dass der Heilige Gottes mit Namen Jesus sich dem Willen seines Vaters im Himmel gebeugt hat und sein Kreuz getragen hat, als Beispiel, Vorbild und Befreiung für alle, dem kann der Gedanke nicht schwer fallen, auch für den verstorbenen Dietrich Nagel eine vom Herrn bestimmte Karriere anzunehmen.
Alle kannten ihn, die meisten gingen ihm aus dem Weg. Wenige gingen seinen Kreuzweg mit. Manche haben ihm ein Schlückchen gereicht, einen Kaffee oder eine Zigarette. So wie Veronika, die ihr Tuch gegeben hat um den Schweiß vom Kreuztragen abzuwischen. Ich selber habe es nie geschafft, ihn anzusprechen, zu sagen, Trinken wir ein Bier zusammen, oder Scheißleben heute mal wieder. Es ist leicht zu sagen, er möge mir das verzeihen. Ich meine es ehrlich. Und doch wieder mal zu spät. Wie immer.

Dienstag, 7. Juni 2011

Leserbrief 09

Weitere Beiträge zum Thema "Was zieht man am Maientag an, wenn man im Festzug mitlauft?" füllen die Leserbriefspalte der Nürtinger Zeitung vom Mittwoch, 8. Juni 2011:

Herr Rink trifft den Nagel auf den Kopf
Hartmut Stoll, Wolfschlugen. Zum Leserbrief „Wippers Leserbriefe allmählich unerträglich“ vom 4. Juni. Herr Rink hat vollkommen recht, wenn er über Herrn Wipper einen Leserbrief schreibt und meint, allmählich sei es unerträglich. Es ist schon lange unerträglich. Schlägt man die Nürtinger Zeitung auf und liest den Namen Reinmar Wipper, denkt jeder: „Abr, et der scho wiedr“. Über alle möglichen Themen gibt er in Leserbriefen ständig seinen Kommentar dazu. Hat ihm eigentlich noch niemand gesagt, dass er den Lesern mit seinen Meinungen meist nur auf die „Nerven“ geht? Man fragt sich, ob der gute Mann sonst nichts zu tun hat. Mit seiner Zeckenstich-Geschichte hat er mal wieder, wie so oft, den Vogel abgeschossen. Dass er es geschafft hat, trotz der Schmerzen am Maientag doch noch teilzunehmen, ist einfach so toll. Welch ein Glück, dass er dazu noch entsprechende Klamotten gefunden hatte.

Diese Zuschrift entfaltet ein schwäbisches Idyll: Kender, haltet euer Gosch, dr Vatter schreibt an d´ Zeitong!

Früher hatte man ein Kleid für viele Anlässe
Hanne Hoßfeld, Nürtingen. Zum Leserbrief „Der Maientag und die Traditionen“ vom 27. Mai. Eigentlich ist die Diskussion, was man am Maientag anziehen soll oder darf, nicht mehr recht zeitgemäß. Auch die Begründung, wer was warum anziehen muss, ist wohl fehl am Platze. Als ich die Leserbriefe zu diesem Thema gelesen habe, fiel mir eine Begebenheit mit meiner Großmutter in den 1950er-Jahren ein. Sie musste sich ein neues Kleid kaufen, das alte ist, obwohl der Gebrauch nicht sehr häufig war, dann doch in die Jahre gekommen. So ist es nun mal bei uns Schwaben, wir gehen sorgfältig mit unseren Gewändern um. Die sehr freundliche Verkäuferin fand auch schnell etwas Passendes und lobte Stoff und Eleganz des Kleides. Worauf ihr meine Großmutter zur Antwort gab: „Da hendse reacht, des isch für Freud und Leid und au fürn Maietag.“ Das nenn ich Pragmatismus. So isch no wieder.

Der Spruch der Großmutter ist scheint´s in Nürtingen geläufig. Manche legen ihn auch der Frau Motz in den Mund, die in der Apothekerstraße, wo ich aufgewachsen bin, ein Textilgeschäft für Damenmoden führte.

Einfach andere Artikel lesen
Martha Beier, Aichtal-Grötzingen. Zum Leserbrief „Wippers Briefe allmählich unerträglich“ vom 4. Juni. Wer wird eigentlich gezwungen, Leserbriefe zu lesen? Niemand. Es steht jedem frei, sich eine eigene Meinung zu bilden, Dinge in seinem Sinn eventuell richtigzustellen und dies öffentlich zu machen. Noch dazu auf so nette und harmlose Weise, wie Herr Wipper das letztes Wochenende tat. Deswegen muss man doch niemanden öffentlich angreifen oder gar beleidigen. (Was du nicht willst, das man dir tu . . .) Herr Rink sollte einfach großzügig drüber weglesen, wenn er Herrn Wippers Briefe nicht mag. Es steht ja noch so vieles andere in der Zeitung. Ich lese auch nicht alles, lasse aber andere Mitmenschen gelten.

Danke, Frau Beier!

Samstag, 4. Juni 2011

Leserbrief 08

Heute nun, genau eine Woche nach dem Maientag, steht folgender Leserbrief in der Zeitung:

Wippers Leserbriefe allmählich unerträglich
Curt Rink, Nürtingen. Zum Leserbrief „Der Zeckenstich und die Turnschuhe“ vom 3. Juni. Seit vielen Jahren bin ich Bezieher der Nürtinger Zeitung, aber allmählich finde ich es unerträglich, dass der selbsternannte Alleswisser Reinmar Wipper, mindestens einmal wöchentlich, seine unmaßgebliche Meinung der übrigen Bevölkerung Nürtingens mitteilen muss. Vielleicht hat es noch Platz in der Redaktion, dann könnte man ihm noch einen seinen Fähigkeiten entsprechenden Platz anbieten.


Wer ist Curt Rink? Ich kenne ihn erst seit heute. Indirekt. Auch er kennt mich nicht. Er gehört offenbar zu der Spezies von Mitbürger, die in ihrem Bau auf diejenigen lauern, die an ihrem Fenster vorbei gehen. Bildlich gesprochen. Möglicherweise hat er gar nicht selber geschrieben sondern nur seine Adresse hergegeben. Das macht die Nürtinger Meinungs-Mafia gerne.

Herr Rink irrt im Verlauf von nicht mal 10 Zeilen in 6  Punkten:

1   Ich habe mich noch nie zu etwas ernannt. In meinem früheren Leben bin ich ernannt worden zum
     a)   Lehrer für Musik und Mathematik,
     b)   Schöffen in Kriegsdienstverweigerungswiderspruchsverfahren,
     c)   zum Rentner.
     jeweils mit Ernennungsurkunde.
2   Ich weiß zwar mehr als der Herr Rink, nehme ich mal an, das ist wohl auch nicht schwierig, aber ich weiß eben nicht alles. Spannend wär´s und belastend allemal. Vor allem habe ich das nie beansprucht.
3   In den vergangenen zwei Wochen habe ich drei Leserbriefe geschrieben. Einen wegen des Maientages. Und zwei als notwendige Antwort auf inhaltlich falsche Anschuldigen, einmal vom SPD-Oldie Nauendorf, einmal von Textilberaterin Bentsche aus Zizishausen. Beide haben Mist verzapft, weil sie sich vor dem Schreiben nicht kundig gemacht haben. Das habe ich klar gestellt.
4   In den vergangenen 2 Jahren habe ich nicht jede Woche einen Leserbrief geschrieben, auch nicht jede zweite, auch nicht jede dritte, nicht jede vierte usw. Herr Rink kann offenbar weder zählen noch rechnen. Er fühlt die Zahlen, nehme ich an. Das wird heute gern gemacht, wenn man nichts Genaues nicht weiß. Sehr schwach.
5   Meine Meinung wird von vielen Zeitungslesern zwar nicht als maßgeblich, aber als Grund genannt, das Abonnement noch immer nicht gekündigt zu haben.
6   Herr Rink hat offenbar keine Ahnung, wie wenig man als Redaktuer verdient und dass es in einer Redaktion wie der der NtZ keinen überzähligen Stuhl gibt. Weil sonst seine Zeitung noch teurer wäre.
7   Herr Rink macht in 2 Sätzen 6 inhaltliche Fehler. Note: 5 - 6, denn immerhin stimmt seine Rechtschreibung, was man von folgendem Schmierfinken nicht sagen kann:


Das war heute im Briefkosten und kommt in meine Kiste mit der Aufschrift Schmähungen. Es ist ein Leserbrief von mir, draufgetackert eine handschriftliche Anfrage, zuerst mit Kuli geschrieben und dann mit Filzstift dick nachgeschmiert. Von einem, der sich mit dem Schreiben schwertut. Bemerkenswert sind drei Rechtschreibfehler bei nur vier Wörtern (wem, intressiert, dass), ein Satzzeichenfehler (? fehlt). Man weiß, welche Leute im Roßdorf so schreiben. Bezeichnend außerdem, dass diese Nazis - denn aus dem rechten Sumpf rekrutieren sich fast alle Schmähbriefe, die ich schon erhalten habe - stets anonym operieren. Sie sind also gesichtslose Feiglinge. Das kommt erschwerend zu dem Befund hinzu, dass sie riegeldumm sind.
Einer von diesen Drecksäcken hat mir vor Jahren angedroht: Wenn wir an der Macht sind, dann werden wir mit linken Schweinen wie dir ganz schnell fertig. Allerdings auch in etwas holperigem Mitläufer-und Import-Deutsch.

Dieses zum Stand von Bildung und Kultur im Land der Dichter und Denker.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Leserbrief 07

Am Maientag ging man früher ganz in Weiß (siehe Foto in Leserbrief 04). Heute nur noch die ganz Kleinen. Ich ging dieses Jahr in Jeans, weil ich in Laufschuhen mit dicker Sohle gehen musste. Wegen Beschwerden nach einer heimtückischen und tagelang nicht entdeckten Zeckeninvasion.  Dazu passten die guten Hosen beim besten Willen nicht, und das hat offenbar nicht allen behagt. Aus dem Hause Bentsche - Stadtrat der CDU und Malermeister aus Zizishausen -  hat die Nürtinger Zeitung heute diesen Leserbrief veröffentlicht:

Zum Maientag gehört ein festliches Gewand
Edeltraud Bentsche, NT-Zizishausen. Zum Leserbrief „Auch am Vesper wird gespart“ vom 25. Mai. Wenn Herr Wipper schon so auf „Maientagstraditionen“ pocht, dann sollte er auch wissen, dass man für diesen besonderen Tag auch ein extra „Maientagsgewand“ bekam beziehungsweise sich ein solches kaufte, insbesondere, wenn man im Festzug „ganz vorn“ mitläuft.
Wir waren drei „Maientagsmädchen“ und meine Eltern hatten es bestimmt nicht leicht, uns immer für diesen Festtag herauszuputzen. Aber wir hätten es nie gewagt, auch nicht in unserer schlimmsten Zeit (damals mit Jeans, Fransenboots und grünem Parka mit Fuchsschwanz), in einer Jeans beim Festzug zu erscheinen. Das gehörte sich einfach nicht – man trägt ein Maientagskleid. Als „Nürtinger Kind“ halte ich mich nun schon seit über 50 Jahren daran, und das, ohne dass ich im Festzug mitlaufe!


Meine Antwort ist mir heute Morgen eingefallen:

Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Leserbrief "Zum Maientag gehört ein festliches Gewand". Frau Bentsche aus Zizishausen passt meine Hose nicht. Selbige lasse ich jetzetle für einen Moment herunter.
Eine Woche vor dem Maientag hatte eine Zecke bei mir angedockt. Rechte Kniekehle, wo man nicht leicht hinsieht. Nach drei Tagen Beschwerden war das Viech enttarnt. Der Doktor konnte die fest Verankerte rechtzeitig ausdrehen und mittels Kältespray zur Hölle schicken. Den lila Entzündungsherd solle ich beobachten. Widrigenfalls müsse ein Antibiotikum her. Wieder drei Tage später: Entwicklung unklar, übers Wochenende (Maientag!) weiter beobachten, notfalls dick mit Diclofenac die Entzündung im Rahmen halten. Knie knicken, gehen und sitzen waren sehr unangenehm. Ein Mordspflaster über dem ärztlichen Schutzanstrich unterband Kratzen gegen Jucken. Zum Juchzen!
Deshalb bin ich abends nicht zum Maiensingen und Lehrervesper gegangen. Zum ersten Mal. Für alternde Männer gibt´s immer öfter ein erstes Mal. Auch anderntags, im Festzug. Mich neben Frau Oberbürgermeister im Knieschonerfahrzeug der Feuerwehr zu präsentieren steht mir nicht zu. Meine Frau sagte, du kannst aber beim Festzug nicht fehlen. Ich sagte, ich kann ja gar nicht recht gehen, erst recht nicht in den Sonntagsschuhen, die ich zum Orgelspielen und bei Beerdigungen trage. Dann zieh halt deine Laufschuhe an. Na klar, die geben Halt und sicheren Stand. Ein Mann ohne Bandscheiben zwischen den Lenden weiß das zu schätzen. Adidas und Sonntagshose geht aber nicht. Also Jeans, wie viele andere im Festzug auch. Die rund acht Kilometer in falscher Gehhaltung, vom Parkkplatz beim Heller, im Festzug, mit den Enkeln zum Karussell Fahren und wieder retour, habe ich überstanden. Mit Hüftbeschwerden zwar, aber lebend. Für 2012 hole ich mir in Zizishausen einen Malerkittel. Wie früher: Ganz in Weiß. Und jetzt ziehe ich meine Hosen wieder hoch und erinnere an eine alte Malerweisheit: Den Pinsel nicht zu schnell bewegen -  dann klappt der Anstrich beim Kollegen.


Zum Verständnis: Am Montag stand in der Kolumne Maientagsgeflüster der Nürtinger Zeitung zu lesen:

Im Fahrzeug der Nürtinger Feuerwehr, das den prächtigen Festzug anführte, hatte Gisela Keck-Heirich Platz genommen. Befürchtete die Ehefrau des OB etwa, dass sie ihre schicken Pumps auf dem Nürtinger Pflaster ruinieren könnte? Weit gefehlt. Gisela Keck-Heirich ist bei der Skiausfahrt mit dem Gemeinderat im März schwer gestürzt und hat sich am Knie verletzt. Die Operation ist zwar gut verlaufen, doch das Knie noch nicht 100-prozentig wieder hergestellt.

Eines will ich später noch nachtragen: After-Work-Party der Stadtverwaltung am Maientags-Montag. Die fünfte oder sechste an der Seite meiner Frau. Wenn´s weiter so regnet, habe ich Zeit zum Schreiben.

Leserbrief 06

Der Maientag war schön wie immer. Nur im Festzelt war´s nicht so wie früher. Katastrophaler Service. Und rotzfreches Personal. Das hat mich zu folgender Glosse angeregt, die von der NtZ bislang nicht veröffentlicht worden ist. Wahrscheinlich, weil das Kontingent überschritten ist: pro Nase nur ein Brief pro Woche.


Reinmar Wipper, Nürtingen. (Zum Foto: OB Heirich mit Bierkönigin). Platz zum Liegen, die ganze Familie wählt Festzeltmitte. Kurze Laufzeiten für Kellner. Acht Personen, Kinderwagenkind bis Opa. Vier Rote, je zwei mal Currywurst, Pommes, Fanta, Cola, ein A-Schorle, ein Radler, ein Null-Vier-Bier, eine Maß. Mit Trinkgeld für´s Herschleppen locker 60 Mücken. Das Bier ist dünn, die Roten mehrheitlich von gestern, geradezu arteriosklerotisch: dünner Brätkanal in dunkelbrauner Schrumpelröhre. Auch die Maß ist nicht voll. Sei´s drum, es ist nett, und auf der Bühne spielt Kollege Tobi. Drum wollen wir noch mal ein Bier. Die Kellnerin vertröstet uns drei Mal. Zu sehen ist sie kaum. Beim vierten Versuch verweist sie an die Kollegen. Wir gehen.
Ein Jüngling steht hinterm Tresen. Ihn frage ich, wer für den Betrieb zuständig sei. Er will nicht verstehen. Warum, sagt er. Weil ich was fragen will, sage ich. Was, blafft er zurück. Ich sage, warum man fast eine halbe Stunde warten muss, wenn noch nicht viel los ist. Der Schnösel sagt: Sagen Sie das dieser jungen Frau da und deutet zur Dame auf dem Hochsitz hinterm Geld. Ah, die Bierkönigin - von wegen: Rüstige Fregatte mit scharfem Mundwerk. Offenbar weiß sie mit Besoffenen umzugehen. Beschwerdeführer im Bierzelt sind immer besoffen. Ich noch nicht. Von was auch. Das sei nicht ihr Bier, keift die Fregatte, deutet auf den Chefkellner. Der lehnt einen Meter daneben und sendet Signale von Null Bock auf Talk.
Da marschieren wir ab und holen noch Magenbrot. Wenigstens das schmeckt noch wie früher. Die Wurst im Zelt nicht. Bier auch nicht. Dünn, ohne Schaumeskraft. Aber das hat Heinrich Schöll schon so  gebraut, wenn Maientag war: Des duat´s fer euch Saukerle zom an d´ Beem nobronza, hat er einmal auf seinem Nachhauseweg gesagt auf die Frage, Heiner, was hosch denn do wieder fer en Soich z´sammabraut. Aber Schöll war zugegen, ansprechbar, einer von uns. Der heurige Festzeltbetreiber mit seinen Hilfskräfte nicht. Sein Vertrag ist erst jüngst um Jahre verlängert worden.


Und heute, drei Tage später ging´s bereits weiter. Mit einem Leserbrief einer Malers- und Stadtratsgattin Das steht in Leserbrief 07.

Sonntag, 29. Mai 2011

Leserbrief 05

Das Großaufgebot des Herrn N. in der Leserbriefspalte vom 27. Mai marschierte ins Leere, weil der Kollege nicht richtig gelesen und deswegen falsche Nachrichten von sich gegeben hatte. Möglicherweise aber hat er seinen ausgetretenen Pfad beschritten: Die Dinge leicht verdrehen und seine Interpretation der Fakten als Fakt darzustellen. Die herablassende Attitüde aber war unter der Gürtellinie. So springt mit mir niemand um, der mich im Bedarfsfall "Freund" nennt und unter den Schirm meiner Worte flüchtet. Also habe ich pariert, und anderntags war bereits zu lesen:


Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Leserbrief „Der Maientag und die Traditionen“ vom 27. Mai. Kollege Nauendorf musste mal wieder ganze Breitseiten abfeuern, um das Papierschiffchen zu versenken, auf dem ich Kapitän bin. Ich brauche aber seine Rhetorik nicht, mit der er einmal mehr die Welt nach seinem Willen und seiner Vorstellung erklärt. Es geht doch lediglich um die Frage, womit der Nürtinger Maientag eröffnet wird.
Im Maientagsprogramm steht: Mit „dem“ Fassanstich. Das lehne ich ab, und echte Nürtinger wissen, was ich meine. Es ist daneben, mir zu unterstellen, ich missbilligte den Festzeltbetrieb und den Rummel. Erst recht brauche ich keine Belehrungen darüber, in welchem Verhältnis meine „Fähigkeiten“ zu „solchen Leserbriefen“ stehen. Von beidem hat er schon ausgiebig profitiert. Das ist nun endgültig gegessen. Mahlzeit!



Das ist am Maientagsmorgen in der Zeitung gestanden, und vor dem Rathaus haben mir alte Nürtinger, die auf den Festzug gewartet haben, mit Handschlag gratuliert.

Und dann ging´s ins Festzelt. Mit der ganzen Familie. Was dort passiert ist, das steht dann im Leserbrief 06.