Nach dem
Leserbrief 03 fühlte sich der dienstälteste Stadtrat im Nürtinger Gemeinderat herausgefordert, auf breiter Front mobil zu machen:
Helmut Nauendorf, Nürtingen. Alles, was beim Maientag passiert, wird im Maientagsausschuss diskutiert und der Verwaltung empfohlen oder eben auch nicht. Dieser Ausschuss besteht aus den Vertreterinnen und Vertretern der Nürtinger Schulen und aus Mitgliedern der Verwaltung, angefangen vom Bürgermeister (künftig der Bürgermeisterin) über die Vertreter des Kultur-, Schul- und Sportamtes bis hin zu den betroffenen Amtsleitern. Kurzum aus allen, die den Maientag zu organisieren und zu gestalten haben. Ich gehöre diesem Gremium seit 40 Jahren an. Ich weiß, was sich in dieser Zeit alles verändert hat, auch beim Maientag.
Im letzten Jahr hat dieser Ausschuss in großer Runde getagt mit Vertretern der Schausteller. Auch die Fraktionen waren eingeladen. Nur ein Vertreter der Nürtinger Liste/Grüne erschien nicht. Es ging um die weitere Gestaltung des Maientages.
Es ist eine seit Langem diskutierte Frage, ob Bierzelt und Karussells zur Tradition des Maientags passen. Sicherlich nicht, wenn man den ursprünglich pietistischen Kern des Maientages betrachtet, auch die Ansätze der aufgeklärten Pädagogik. Aber man kann ja mal die Kinder befragen, ob sie auf Karussells verzichten wollen. Über Bierzelte kann man unterschiedlicher Auffassung sein.
Wenn man aber das Bierzelt will, dann langt es nicht, wenn Herr Wipper und andere Bürger nach dem Festzug ein oder mehrere Bier trinken und eine Rote essen. Dann muss dieses Zelt an möglichst vier Nachmittagen und Abenden mit Veranstaltungen „bespielt“ werden. Die Kosten für ein Zelt sind nicht erst neuerdings exorbitant hoch. Und es bedarf eines erheblichen Umsatzes, um das überhaupt finanzieren zu können. Vereine können sich das im Regelfall nicht mehr leisten.
Unter anderem ging es bei der besagten Sitzung darum, den Fassanstich nicht parallel zum Maiensingen und zum anschließenden Lehrertreffen zu legen. Deshalb kam es zur jetzigen Lösung, an der der Oberbürgermeister nicht mitgewirkt hat. Manche Menschen, Herr Wipper, schnitzen sich auch ihre „Gegner“ selber. Wenn man an Beratungen teilnehmen würde, könnte man in der Woche des Maientages kein Fass aufmachen.
Und darum scheint es neuerdings zu gehen. Es ist erstaunlich, dass ein Mann mit diesen Fähigkeiten auch zu solchen Leserbriefen fähig ist. Wie viele Stadträte und Lehrer am Anerkennungsabend in der Stadthalle auf Kosten der Stadt trinken dürfen, erörtere ich hier nicht. Wir kommen gerade aus der schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit. Vergessen, Herr Stadtvater? Prost!
Vielerlei in und zu dieser Schrift ist bemerkenswert:
1 Der Verfasser ist kommunalpolitisches Urgestein der Stadt, Träger hoher Auszeichnungen, Verdienstkreuze und Lorbeeren, lange Jahre als überparteilich geachteter Sozialdemokrat, heute, nach der verbitterten Rückgabe seines Parteibuches, als Mitglied der Fraktion Unabhängige Freie Bürger.
2 Dem Verfasser habe ich lange zugearbeitet. Hin und wieder hat er mich seinen Freund genannt, mit kurzen Verfallsfristen, je nachdem, ob er mich gebraucht oder als Rivale gesehen hat.
3 Eine Einladung zum Runden Tisch mit allen Beteiligten und Schaustellern habe ich nie erhalten. Würde mich auch wundern, denn der Oberbürgermeister ist ja froh, dass er mich rausdrängen konnte.
4 Nie ist in Frage gestellt worden, dass der Maientag durch einen Festzeltbetrieb und einen Rummel bereichert wird. Ich bin schon Kettenkarussel gefahren und saß mit meinem Opa im Zelt, als der Schreiber des obigen Leserbriefs noch nicht wusste, wo Nürtingen liegt.
5 Die Rendite eines Festzeltbetreibers hängt nur davon ab, an wievielen Tagen er wie lange servieren darf. Sie hängt aber nicht davon ab, ob und wann man eine Bierkönigin einlädt, die mit dem Oberbürgermeister ein Fass aufmacht und selbiger Akt als "Eröffnung des Maientags" ins Programmheft kommt.
6 Der ironische Gebrauch der Anrede "Herr Stadtvater" sowie die förmliche Anrede mit "Herr Wipper" kennzeichnet die Talphase der unter Punkt 2 erwähnten Wechselbäder, die Herr N. denen angedeihen lässt, die er neben sich braucht aber eben nur als Bonsai-Ausgabe seiner selbst.
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1950 Klasse 1a
Hölderlin-Grundschule.
Einer der Buben bin ich. |
7 Am Maientag teilgenommen, als Schulbub im Jahre 1950, habe ich zum ersten Mal vor 61 Jahren. Aktiv mitgearbeitet, anfangs als Mitglied der berühmten Kunst-AG des Max-Planck-Gymnasiums unter Otto Zondler, habe ich seit 1959. Später als Lehrer mit meinen Schülern vom beruflichen Schulzentrum Auf dem Säer. Damals war ich viele Jahre Mitglied des Maientagsausschusses, bis es der damalige Rektor der Ersbergschule durchsetzen konnte, das die Schulen des Landkreises nicht mehr und nur noch die Schulen der Stadt teilnehmen durften.
8 Bis vor zwei Jahren saß ich als Moderator des Maiensingens im Maientagsausschuss. Bis mich der Oberbürgermeister rausgeschmissen hat. Aber das ist eine andere Geschichte, demnächst in diesem Theater.
9 Deswegen ist es Quatsch zu sagen, der Oberbürgermeister habe im Maientagsausschuss nicht mitgewirkt. Der Herr Oberbürgermeister ist erklärter Freund des Festzeltbetreibers und hat mit diesem für fünf weitere Jahre einen Vertrag gemacht. Ohne den Gemeinderat oder irgendeinen Ausschuss. Was der Herr Oberbürgermeister will, zum Beispiel seinen Fassanstich, sagt er den Amtsleitern und die setzen es um.
10 Der Herr N. weiß das alles. Wenn er aber glaubt die Hellebarde zum Schutze der Stadt schwingen zu müssen, dann filtert und polarisiert er sein Wissen. Oder er vergisst es bereits. Das kennen wir alte Männer nur zu gut. Aber je älter wir werden, desto lächerlicher sehen wir in der Jungsiegfried-Pose aus. Die Eitelkeit drückt da dem Eitlen beide Augen zu.
Weiter geht es mit Leserbrief 05.